Wissen ist die Wurzel jeder spirituellen Aktivität

    Alexander Zeugin

    Saṃvara [Teil 663]

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    STHAVIRAVALĪ [58 von ]

    KEVALĪ BHAGAVĀN JAMBŪ SWĀMĪ [3 von 17]

    DIE GESCHICHTE VON MADHŪ BINDU UND DEM MANN

    Ein armer Mann begab sich in Begleitung des Führers einer Handelskarawane auf eine Reise in ein fernes Land, um Reichtum zu erlangen. Unterwegs wurde die Karawane von Räubern ausgeraubt. Der arme Mann rannte davon. Während er weiterrannte, sah er einen riesigen, wütenden Elefanten, der ihm schnell folgte, um ihn zu verletzen. Aus Angst, getötet zu werden, blickte sich der arme Mann hierhin und dorthin um und fiel in einen Brunnen. Als er in den Brunnen fiel, ergriff er zufällig einen Ast eines Banyana-Baums, der in unmittelbarer Nähe des Brunnens stand, und hielt sich mit Hilfe des Astes des Baums dort fest. Der Mann sah in der Mitte eine große Boa und in den vier Ecken vier gewöhnliche Schlangen mit weit geöffneten Mäulern.

    Als der arme Mann nach oben blickte, sah er eine weiße und eine schwarze Ratte, die den Ast des Banyana-Baums abbissen, an dem er noch hing. Auf dem Baum befand sich ein großer Bienenstock, aus dem Bienen herausflogen und ihn stachen. Der Elefant trat hinzu und begann, den Banyana-Baum zu schütteln. Als der arme Mann sah, dass der Elefant versuchte, den Baum umzureißen, Ratten den Ast des Baumes abbissen, an dem er hing, und dass große Schlangen darunter waren, erschrak er sehr.

    Aber als er schließlich einen Tropfen Honig schmeckte, der in seinen Mund fiel, fühlte er sich glücklich.

    Es heißt:

    1. Vaṣayagaṇah kāpurusham karoti vaśavartinam na satpuruṣaṃ;

    Badhnāti maśakaméva hi lūtātantu-r-na mātaṅgam.

    Sinnliche Genüsse machen einen verachtenswerten Menschen unterwürfig, aber sie unterwerfen keinen weisen Mann. Ein Faden eines Spinnennetzes fesselt nur eine Mücke, aber keinen Elefanten.

    2. Dadāti tāvadimé viṣayāh sukham, sphurati yāvadiyam hridi mūḍhatā;

    Manasi tāttvavidām tu vicāraké, Kva viṣayāh kva sukham, kva parigrahaḥ.

    Diese Sinnesfreuden bereiten Freude, solange Verwirrung im Herzen herrscht. Aber in den kompetenten Herzen weiser Menschen ist kein Platz für Sinnesfreuden, für ein Verlangen nach Vergnügen und keinen nach Besitz.

    Zu dieser Zeit ging ein Vidyādhara (guru, Lehrer), der in der Luft flog,[1] aus Mitgefühl für ihn, als er den elenden Mann im Brunnen hängen sah, zu ihm und sagte: „Oh würdiger Mann! Du nimmst meine Hand, ruhst dich darauf aus und versuchst, aus dem Brunnen zu kommen.“ Der elende Mann sagte: „Warte eine Weile und lass diesen Tropfen Honig in meinen Mund fallen.“ Der Vidyādhara erzählte es ihm lange Zeit immer wieder, aber der elende Mann ließ nicht von dem vergänglichen Vergnügen des Geschmacks eines Tropfens Honig ab und kam nicht aus dem Brunnen. Der Vidyādhara ging dann fort in seine himmlische Wohnstätte und der Mann erlitt dort große Qualen.

    Jambū Kumāra wandte sich an Prabhava und sagte: „Genauso, oh Prabhava! Ich bin wegen vergänglicher Freuden tief in diese nutzlose Welt vertieft.“

    Die Upanaya (Anwendung der Geschichte) ist diese:

    Der elende Mann ist der Mann der Welt, der schreckliche Wald ist die weltliche Existenz, der Elefant ist der Tod; der Brunnen ist die Welt der Sterblichen; die Boa-Schlange ist die Hölle; die vier gewöhnlichen Schlangen sind die vier kaṣāyas [Leidenschaften, nämlich krodha (Zorn), māna (Stolz), māyā (Intrige/Täuschung) und lobha (Gier)]; der banyana-Baum ist die zugeteilte Lebenszeit; die beiden Ratten sind die hellen und dunklen vierzehn Tage des Monats; die Honigbienen sind die unzähligen Krankheiten des Körpers; der Honigtropfen ist der Geschmack der Sinnesfreuden; der Vidyādhara ist der würdige Guru. Wer der unnützen Welt entsagt, erreicht mukti, den Zustand endgültiger Glückseligkeit. Andere erleiden die Qualen schrecklichen Elends in der Hölle wie der elende Mann in der Geschichte.

    Prabhava sagte dann: „O Jambū Kumāra! Nachdem du deiner liebevollen Mutter und deinem liebevollen Vater, deinen Frauen und deinen Verwandten entsagt hast, warum nimmst du dann das große dīkṣā-Gelübde an?“ Jambū Kumāra sagte: „Höre von mir eine Geschichte über die Wertlosigkeit weltlicher Freuden.“

    Die Geschichte geht wie folgt:

     

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    [1] Ākāśa-gāminī-vidyā – Magische Macht des Fliegens im Himmel. Metapher für unkorrekte Orthographie, Syntax, Rethorik, etc. erklärt in der Anuyogadvāra Sūtra unter AGAMATAHA DRAVYA AVAŚYAKA

     

    Genaue Ausführung: Der Begriff dravya hat viele Bedeutungen. Gemäss dem Kommentator (vritti) wird es hier verwendet um anzuzeigen, das, welches die grundlegende Ursache für vergangene und zukünftige Zustände ist. Es kann beides sein, bewusst und nicht-bewusst. Zum Beispiel der ein Jina (Sieger über die sechs inneren Feinde 1. Lust/Verliebtheit/Verwirrtheit, 2. Zorn, 3. Stolz/Ego, 4. Intrige/List/Täuschung, 5. Gier/Geiz, 6. Hass/Abneigung) zu sein bestimmte Körper der Person wird Jina genannt selbst vor Erleuchtung. Auch der leblose Körper des Jina nach seinem nirvana wird Jina genannt. Sinngemäss sind diese zwei dravya-Jina oder physischer Aspekt von Jina. (Panchadhyayi, erster Teil)

    14. (Frage) Was ist agamatah dravya avashyak (physischer avashyak mit Schriftwissen)?

    (Antwort) Physischer avaśyaka im Kontext von Āgama ist wie dies: (Zum Beispiel) eine Person (ein Asket) hat den Text von Avaśyaka (Sūtra) richtig studiert (shikshit); verstanden und aufgenommen (thit); behalten im Gedächtnis (jit); Abwägung gemacht in Begriffen von Anzahl von Versen, Worte, Silben, usw. (mit); vervollkommnet durch Überprüfung mit normaler und umgekehrter Reihenfolge (parijit); am Gedächtnis anvertraut so fest wie jemandes eigenen Namen (naamsamam) und sagt ihn fliessend vor mit phonetischer Perfektion (ghoshasamam) ohne Silben zu kürzen (ahinaksharam); ohne Silben auszudehnen (anatyakshar); ohne Silben zu verschieben (avyaviddhakshar); und ohne Silben auszulassen (askhalit); ohne verschiedene Satzteile durcheinanderzubringen (amilit); und ohne verschiedene Satzteile und Aphorismen zu verknüpfen (avyatyamredit). Wenn (eine) solche Person fortfährt diese durch die Lehrrede des gurus (guruvachanopagat) erworbene Avaśyaka Sūtra redegewandt wiederzugeben (pratipurna) in perfektem Akzent (pratipurnaghosh), ist er bekannt als physischer avaśyaka im Āgama-Kontext. Dies ist so wegen der Tatsache, dass er ohne die Fertigkeit ist über die Bedeutung (Geist) des Textes nachzudenken und jede Handlung ohne die Fertigkeit der Überlegung ist nur physische (dravya).

     

    Genaue Ausführung: Die siebzehn Eigenschaftswörter (Adjektive) für physisches avaśyaka mit Schriftwissen informieren über seine absolute Richtigkeit. Sie sind:

    (1) Sikkhitam (shikshit): von Anfang zum Ende genau studiert oder gelesen.

    (2) Thitam (thit): verstanden und im Gedächtnis aufgenommen.

    (3) Jitam (jit): im Gedächtnis bewahrt so wie zum Beispiel sich sofort zur Zeit der Überprüfung zu erinnern.

    (4) Mitam (mit): studiert und den Wert bestimmt in Begriffen der Anzahl von Versen, Worten, Silben, Versmass, usw.

    (5) Parijitam (parijit): vervollkommnet durch Überprüfung mit normaler und umgekehrter Reihenfolge so wie zum Beispiel die Fähigkeit zu rezitieren nach Belieben in jeder gewünschten Reihenfolge.

    (6) Namasamam (namasam): jeden Teil des Buches dem Gedächtnis so fest wie seinen eigenen Namen anzuvertrauen.

    Diese sechs Adjektive informieren über den alten Ablauf von den Āgama Text ins Gedächtnis einzuprägen. Die folgenden Adjektive sind bezogen für Vervollkommnung in Vortragskunst (Rhetorik).

    (7) Ghosasamam (ghoshasam): den Text fliessend mit phonetischer Vollkommenheit in der erforderten hohen oder niedrigen Tonlage zu rezitieren. In modernen Begriffen wird es steigender und fallender Ton genannt.

    (8) – (9) Ahinakkharam (ahinakshar) und Anachchakkharam (antyakshar): rezitieren ohne Silben zu kürzen oder auszudehnen. Dies ist, weil, wenn eine Silbe vom Āgama Text vermisst wird, kann die gewünschte Bedeutung nicht erfasst werden. Auf die gleiche Weise kann auch Silben hinzuzufügen Konfusion verursachen. Der Kommentator (Tika) hat dies mit Beispielen erklärt:

    (1) Eine Silbe auszulassen: In Rajagriha Stadt, auf Beendigung der Lehrrede von Bhagavan Mahavir, als König Shrenik und Minister Abhaya Kumar daran waren zum Palast zurückzukehren sahen sie einen vidyadhar (eine Art von Gott) vom Himmel fallen und wieder hinaufgehen. Sie fragten Bhagavan Mahavir den Grund für das fortwährende Versagen bei Bemühungen des vidyadhar zu fliegen. Er sagte: „Dieser vidyadhar versucht die magische Macht des Fliegens im Himmel zu vervollkommnen. Aber er verfehlt einen Buchstaben vom mantra und ist deshalb unfähig sie zu vervollkommnen. Er fliegt und fällt zurück wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln.“ Premierminister Abhaya Kumar war mit dem Padanusarini Labdhi (die Fertigkeit den vollständigen Vers oder das vollständige Mantra zu wissen durch nur einen Buchstaben oder Wort des Verses zu hören) ausgestattet. Auf Bhagavan’s Kommentar zu hören ging er sofort zum vidyadhar und sagte: „Bruder! Wenn du das Mantra für die Macht zu fliegen vorsagst, werde ich fähig sein, dir den fehlenden Buchstaben zu sagen.“ Der vidyadhar stimmte zu und rezitierte das mantra. Abhaya Kumar war fähig den fehlenden Buchstaben mit der Hilfe seiner Fertigkeit zu wissen. Als der vidyadhar dann das vollständige mantra sang, flog er in den Himmel ohne irgendein Problem.

    Diese Geschichte erklärt wie nur einen Buchstaben von einem Mantra zu verfehlen macht es wertlos. Wenn Verfehlen von nur einem Buchstaben in weltlichen mantras nicht gewünscht ist, wie kann es in Schriften vorzusagen geduldet sein, welche spirituelle mantras sind? Deshalb sollte von Schriften zu rezitieren ohne irgendeinen Buchstaben zu verfehlen sein. Zu lesen ohne eine zu verfehlen allein kann zu Befreiung führen. (für Einzelheiten siehe Haribhadriya Vritti von Visheshavashyak Bhashya, Vers 864, S. 40, Ed. Muni Jambu Vijaya)

    (2) Eine Silbe zu verlängern: Patliputra war die Hauptstadt des Maurya Kaisers Ashoka.  Er hatte einen Sohn namens Kunal von seiner Hauptkönigin. Als er ein wenig gewachsen war wurde er nach Ujjaini gesandt. Als er acht Jahre alt wurde brachte ein Bote von Ujjaini dem Kaiser die Nachricht. Ashoka schrieb sofort eine Notiz um nach Ujjaini gesandt zu werden: „Idanimadhiyatamkumarah“ (mache den Prinz seine Bildung beginnen). Nach zu schreiben ging der Kaiser weiter um irgendeiner dringenden Aufgabe beizuwohnen und verliess die Notiz unversiegelt. Seine andere Königin, die dort stehend war, erhielt die Gelegenheit die Notiz zu lesen. Sie dachte: ‚Ich habe auch einen Sohn, Mahendra, der jünger als Kunal ist. Der König will Kunal seinen Thronfolger machen, weil es sein Recht ist und nicht das von meinem Sohn.‘ Dies denkend traf sie eine Entscheidung. Sie nahm eine Nadel, tauchte sie in Russ und fügte einen Punkt über dem Buchstaben ‚a‘ in der Notiz hinzu. Dies drehte adhiyatam in andhiyatam (mache den Prinzen blind). Von nur eine Silbe hinzuzufügen hatte die Bedeutung vollständig verändert. Sie legte die Notiz zurück von wo sie sie aufgehoben hatte. Beim Zurückkehren versiegelte der König die Notiz ohne sie wieder zu lesen und sandte sie mit dem Boten. Als der Diener des Prinzen die Notiz las wurde er sprachlos. Er las die unerfreuliche Botschaft nicht laut. Als der Prinz ihm Befahl sie zu lesen tat er so widerwillig. Der Prinz verstand die Verschwörung aber er dachte: ‚Niemand in diesem Maurya Klan hat einem Befehl des Königs nicht gehorcht, wie kann ich diesem Befehl meines Vaters, dem König, nicht gehorchen. Dies ist unmöglich.‘  Mit diesen Gedanken nahm Kunal eine erhitzte Nadel und durchbohrte seine beiden Augen trotz dem Widerspruch von gramerfüllten Familienmitgliedern. Kunal wurde blind. (Haribhadriya Vritti von Visheshavashyak Bhashya, Vers 861, S. 41, Ed. Muni Jambu Vijaya)

    (3) Es gab einen grossen Teich in einem Dschungel. Er war allgemein Kamik-tirth genannt. Am Rand des Teichs gab es einen banjul Baum. Es war ein wundersamer Ort, weil wenn irgendein Tier den banjul Baum erkletterte und von dort in den Teich sprang wechselte es in ein menschliches Wesen. Wenn ein menschliches Wesen das Gleiche tat wechselte er oder sie in einen Gott oder eine Göttin. Jedoch wenn aus Gier jemand die Handlung wiederholte, würde er die ursprüngliche Form zurückerhalten. Eines Tages in Anwesenheit eines Affenpaars fiel ein Menschenpaar von einem Zweig des banjul Baums in den Teich und wechselte sofort in ein göttliches Paar. Dies sehend imitierte das Affenpaar die Handlung auch und wechselten sofort in ein Menschenpaar. Der Mann gewechselte Affe sagte zu seiner Frau gewechselten Gattin: „Komm Liebling! Lass es uns wieder tun so dass wir Götter werden.“ Die Frau verweigerte, sagend: „Wir wissen nicht was geschehen wird, wenn wir noch einmal in das Wasser fallen. Ich bin mit dieser menschlichen Form zufrieden. Übermässige Gier ist schädlich und es wird in den Schriften getadelt.“ Aber durch übermässige Gier getrieben sprang der Mann gewechselte Affe noch einmal in den Teich und zu seinem Unglück erhielt er seine ursprüngliche Form, ein Affe. Einige Zeit später kam ein König dorthin. Als er die schöne Frau sah, verliebte er sich in sie und heiratete sie. Der Affe wurde gefangen durch einen madari (eine Person, die Tiere trainiert und seinen Lebensunterhalt durch ihre Tricke zur Schau zu stellen verdient). Eines Tages geschah es, dass dieser madari den Affen für eine Aufführung vor diesem König und dem zur Frau gewechselten Affen nahm. Der Affe und die Frau, jetzt die Königin, erkannten einander. Trotz angekettet zu sein fuhr der Affe fort zu springen um die Königin anzufassen. Zu diesem sagte die Königin: „O Affe! Benimm dich in Übereinstimmung mit den vorherrschenden Umständen. Du wurdest durch die Gier korrumpiert um in den Teich vom banjul Baum zu springen. Hey Affe! Vergiss jetzt deine Vergangenheit und sei mit deinem Leben als ein Affe zufrieden.“

    Wie noch einmal in den Teich aus Gier zu springen schmerzvoll für den Affen war, so ist für den Leser Silben, Buchstaben oder Klänge im Text der Schriften zu verlängern. Die Schlussfolgerung ist: Bedeutung wird verzerrt wenn Silben ausgelassen oder verlängert werden. Der Aphorismus oder Satz bleibt nicht mehr wahr zu seiner Form. Mit andern Worten, der ursprüngliche Text wird wegen mehr oder weniger Silben verzerrt. Die Verzerrung im Text verursacht Verzerrung in Bedeutung. Diese Verzerrung in Bedeutung verzerrt Verhalten. Ein verzerrtes Verhalten führt nicht zu Befreiung. Im Fehlen der Gelegenheit befreit zu gelangen, geht die Einweihung eines Asketen oder Śrāvaka verdorben. (Haribhadriya Vritti, S. 42)

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