PARIŚIṢṬAPARVAN

    Alexander Zeugin

    STHAVIRAVALĪ Auszüge aus Hēmachandrācāryas PARIŚIṢṬAPARVAN [227 von 284]

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    Anhang I [10 von 66]

    Literarische Nachweise

     

    II, 238. JAMBŪ [28] https://www.om-arham.org/blog/view/9179/parisi%E1%B9%A3%E1%B9%ADaparvan.

    Vgl. die Erzählungen von Moses und von Romulus und Remus; ferner Sōmadeva, Kathāsaritsāgara XV, 30 ff (= Tawney I, 102 ff. nebst Ergänzung U, S. 629; Hertel, Bunte Geschichten vom Himalaja S. 6 ff.); Kṣēmēndra, Bṛhatkathāmañjarī III, 36 ff; Südl. Pañcatantra | I, 4 (wo weitere Quellen). Chauvin, Bibl. d. ouvr. arabes VII, S. 97. Die Erzählung bei Kṣēmēndra, Bṛhatkathāmañjarī III, 36 lautet:

    1. „Einst kam in das Haus eines Kaufmanns ein frommer, schweigsamer[1] wandernder Asket, der seine Augen
    2. etwas geschlossen hielt, und bettelte. Da sah er die Tochter des Kaufmanns, die ihre Hand erhoben hatte, um ihm ein Almosen zu reichen, und sie erschien ihm wie ein Netz, welches Kāma [= Amor] aufgestellt hatte,
    3. um die Gazelle Herz[2] darin zu fangen. Bei ihrem Anblick kam die Liebe über ihn; er richtete seinen Sinn nur auf sie, brach sein Schweigen und rief: „0 wehe! Wehe!". Als dies der Kaufmann hörte, trat
    4. er heraus, und fragte neugierig: „Heiliger Mann, warum hast du plötzlich dein Schweigen gebrochen?" Und  
    5. jener sprach: „Diese deine Tochter ist ein Unglückskind, welches dich um Leib und Habe bringen wird. Setze sie heute Nacht in der Gaṅgā aus in einer gut
    6. verdeckten Kiste. Am Kopfende stelle ein Licht darauf; dann wirst du von der Gefahr befreit werden." Nach diesen Worten kehrte der Asket nach seiner Einsiedelei zurück.
    7. Ein königlicher Prinz aber, der am Ufer der Gaṅgā stand, fand das Mädchen, welches der Kaufmann in seiner Furcht sogleich in der durch das Licht be-
    8. zeichneten Kiste ausgesetzt hatte. Und als er es gefunden, steckte der kluge Königssohn einen stets zornigen Affen in die Kiste und ging mit dem Mädchen nach seinem Palast.
    9. Inzwischen aber sprach der schlechte Asket zu seinen Schülern: "Geht nach der Gaṅgā und sucht und bringt mir schnell die Kiste [, die ihr darin finden
    10. werdet]." Sie brachten dieselbe, und er, nach dem Genüsse des Mädchens lüstern, nahm sie und sagte zu ihnen, weil er sich darnach sehnte, den fliegenlosen
    11. Honig zu trinken):[3] „Ihr dürft nicht zu mir hereinkommen, selbst wenn ihr mich reden hören solltet."

    Nach diesen Worten ging er allein in seine Zelle und verriegelte die Tür.

    1. Als er aber die Kiste öffnete, sprang der zornige Affe heraus und biss dem Liebeskranken Ohren und
    2. Nase ab. Die Schüler hörten wohl sein Wehgeschrei, vermischt mit dem Gekreische des Affen; da sie aber sein Gebot nicht zu übertreten wagten, kamen sie nicht in die Einsiedelei.
    3. Als die Leute aber hörten, was ihm begegnet war, bot er ihnen auf lange Zeit Stoff zum Lachen."

    Der Zug der Aussetzung des Kindes auf einem Flusse findet sich auch in der Geburtsgeschichte Karṇas, eines der berühmtesten Helden des Mahābhārata. MBh I, 111 wird erzählt):[4]

    1. Der Trefflichste der Yadu hiess Śūra, der Vater Vasudevas; er besass eine Tochter namens Pṛthā, die auf Erden an Schönheit nicht ihresgleichen hatte.
    2. Nun hatte Śūra vorher dem kinderlosen Sohne
    3. seiner Vatersschwester sein erstes Kind versprochen; und da er Wort zu halten pflegte, so gab Śūra diese seine erstgeborene Tochter dem Kuntibhōja, der ihn zu verbinden (oder: sie entgegenzunehmen) wünschte, der
    4. Freund seinem hochsinnigen Freunde. Im Hause ihres (Adoptiv-)Vaters ward sie damit beauftragt, brahmanische Gäste zu bedienen. Einst bediente sie nun dort den grausigen, streng an seinen Gelübden hängenden Brah-
    5. manen, der seine Absichten in das (religiöse) Gesetz versenkte und der als Durvāsas bekannt ist.[5] Diesen Grausigen, der sein Inneres völlig beherrschte, stellte
    6. sie nach Kräften zufrieden. Da gab er ihr für den Fall der Not einen mit Zaubergewalt verbundenen
    7. Spruch, und sprach zu ihr: «Jeder Gott, den du durch diesen Zauberspruch heranziehen wirst, wird dir durch seine Macht einen Sohn bescheren."
    8. Als Kuntī[6] diese Zusage von dem Brahmanen erhalten hatte, ward sie neugierig — war sie doch ein Mädchen! —, und darum rief die Ruhmreiche
    9. den Sonnengott herbei. Da sah die Schöne den Sonnengott nahen, der die Welt mit Gedeihen segnet, und staunte bei dem Anblick dieses grossen Wunders.
    10. Der strahlende Gott aber trat an sie heran und sprach: „Hier bin ich, Schwarzäugige;[7] sprich, was soll ich für dich tun?"
    11. Kuntī sprach: „Ein Brahmane hat mir eine Gnadengabe und einen Zauberspruch gewährt, o Feindetöter. Diesen zu erproben habe ich dich gerufen, Herr.
    12. Mit meinem Haupte will ich dich wegen dieses Frevels besänftigen;[8] denn Frauen soll man stets verschonen, auch wenn sie sich immer schwer vergehen."
    13. Śūrya[9] sprach: „Ich weiss das alles, dass Durvāsas dir die Gnadengabe gewährt hat. Fürchte dich nicht
    14. und vereinige dich auf der Stelle mit mir. Nicht fruchtlos kann mein Erscheinen bleiben, und du, Schöne, hast mich gerufen. Hättest du mich für nichts gerufen, schüchternes Kind, so würdest du dich ohne Zweifel versündigt haben."
    15. Also redete zu ihr der strahlende Gott in vielerlei Weise, sie zu gewinnen; die Schönhüftige aber wollte
    16. nicht, weil sie gedachte, dass sie Jungfrau war, und weil die Ruhmreiche sich vor ihren Verwandten fürchtete und sich schämte. Da sagte der Sonnengott wiederum
    17. zu ihr: „Durch meine Gnade, Fürstin, sollst du (in deiner Jungfräulichkeit) nicht verletzt werden." Und nachdem der heilige Sonnengott, welcher das Licht spendet, so zur Tochter des Königs Kunti[10] gesprochen
    18. hatte, vereinigte er sich mit ihr, und es entstand der Held, der der Beste aller Waffenfähigen wurde, mit einem Panzer angetan, der berühmte und majestätische Gottessohn.
    19. Einen angeborenen Panzer tragend, sein Antlitz von einem (angeborenen) Ohrschmuck bestrahlt, wurde der in allen Welten berühmte Sohn Karṇa geboren.[11]
    20. Der Gott aber, der den höchsten Glanz besitzt, gab ihr ihre Jungfräulichkeit wieder; und nachdem er sie verliehen, kehrte der Beste der Strahlenden nach dem Himmel zurück.
    21. Als aber die Jungfrau aus dem Vṛṣṇi-Stamme[12] sah, dass ihr ein Sohn geboren war, wurde sie betrübt im Herzen und hatte nur den einen Gedanken: „Wodurch
    22. kann ich das Geschehene gut machen?" Und um ihren Fehltritt zu verbergen und weil sie sich vor ihren Verwandten fürchtete, setzte Kuntī diesen ihren mächtigen Sohn im Wasser aus,
    23. Das im Wasser ausgesetzte Kind aber fand [Adhiratha,] der berühmte Gatte der Rādhā, der Sohn des Wagenlenkers, und nahm ihn mit seiner Gattin an Kindesstatt an."

    In der S. 230 Anm. 2 erwähnten südlichen Fassung des MBh. ist Str. 22 erweitert, indem gesagt wird, dass die Aussetzung in einer mit Juwelen gefüllten Küste geschah.

    — Die vorstehende Sage ist sicherlich im letzten Grunde mit der Romulussage identisch. Die gemeinsamen Züge sind: Jungfräuliche Mutter, die zugleich Königstochter ist, göttlicher Vater, Aussetzung im Wasser, Auffindung durch einen königlichen Diener (Adhiratha ist der Wagenlenker des Königs Dhṛtarāṣṭra), Annahme an Kindesstatt durch einen kgl. Diener, und im späteren Verlauf Erkennung durch die Verwandten und hervorragende Teilnahme an dem Kampfe um die Herrschaft, in dem sich die Verwandten gegenüberstehen (in der Romulus-Sage Numitor und Amulius, im MBh. die Kaurava und Pāṇdava). Bedeutsam ist die Hervorhebung der Jungfräulichkeit der Mutter, die in der römischen Sage eine Vestalin ist, während die indische Sage noch weitergeht und die Jungfräulichkeit nach der Geburt wieder eintreten lässt. (Im Protevangelium Jacobi ist Maria eine Tempeljungfrau, deren Jungfräulichkeit nach der Geburt handgreiflich festgestellt wird: Kap. 8. 17. 20.)

     

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    [1] d.h. einer, der das Gelübde des Schweigens wahrt, wie die Trappisten, s. Zisterzienser der strengeren Observanz – Wikipedia.

    [2] Man lese manaḥśaraṅga°.

    [3] d.h. keine Zeugen seines Genusses zu haben.

    [4] Ich übersetze nach der Ausgabe des nördlichen Textes von Protap Chundra Roy, deren Druckfehler ich stillschweigend verbessere. In der südlichen Rezension (ed. Krishnacharya und Vyasacharya I, 120) sind mehrere handgreifliche Interpolationen vorhanden. Die MBh-Erzählung ist auch sonst interessant; so hängt sie z.B. mit der Pañcatantra-Erzählung von der Maus als Mädchen zusammen (Chauvin, Bibl. des ouvr. arabes III, S. 40, 4. S. 41, 9. Weitere Belege im 3. Bande meiner Pūrṇabhadra-Ausgabe zu III, 13). In beiden Erzählungen wird der Sonnengott durch ein übernatürliches Mittel zur Vermählung mit einem Mädchen auf die Erde herabgezogen.

    [5] Sein Fluch stürzt bei Kalidāsa Śakuntalā ins Unglück.

    [6] So heißt Pṛthā nach ihrem Vater Kuntibhōjana.

    [7] Wörtlich: "die du schwarze äußere Augenwinkel hast" (infolge von Anwendung der Augensalbe).

    [8] D.h. ich bitte dich, mich verneigend, um Verzeihung.

    [9] Name des Sonnengottes.

    [10] = Kuntibhōja.

    [11] Vgl. den Mythus von der Geburt Pallas Athenes, die gleichfalls gewappnet dem Haupte des Zeus entsprang.

    [12] der zu den Yadu gehört.