PARIŚIṢṬAPARVAN

    Alexander Zeugin

    STHAVIRAVALĪ Auszüge aus Hēmachandrācāryas PARIŚIṢṬAPARVAN [225 von 284]

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    Anhang I [8 von 66]

    Literarische Nachweise

     

    II, 191. JAMBŪ [21-26] Der Mann und der Honigtropfen https://www.om-arham.org/blog/view/9172/parisi%E1%B9%A3%E1%B9%ADaparvan.

    Chauvin, Bibl. des ouvr. ar. ü, S. 85, No. 113,17. in, S. 100. Eine weitere jinistische Fassung findet sich in Amitagatis (eines Dīgambara) Dharmaparīkṣā (abgeschlossen 1024 n. Chr.). Inhaltsangabe bei Mironow, Die Dharmaparīkṣā des Amitagati, Leipzig, Druck von Kreysing 1903 (Strassb. Dissertation), S. 39. Endlich ist eine etwas abweichende Prākrit-Fassung in des Jainamönchs Haribhadra[1] Samarāiccakahā enthalten, auf die mich ihr erster Herausgeber H. Jacobi aufmerksam macht. Das genannte Werk besteht aus einer Mischung von Prosa und Versen. Die Erzählung findet sich in ihm auf S. 110,17 ff. Da der Druck leider gegenwärtig nur bis zum Anfang der Erzählung vorgeschritten ist, so gebe ich im Folgenden die Fassung des Jaina-Lehrers Pradyumna, der im Jahre 1368 unserer Zeitrechnung einen vollständig in Sanskritversen geschriebenen Auszug aus dem Werke Haribhadras unter dem Titel Samarādityasaṃkṣepaḥ verfasste (herausgegeben von H. Jacobi, Ahmedabad 1906). Unsere Parabel lautet daselbst II, 320 ff (S. 58):

    1. Ein Mann, von Not und Armut hart gepeinigt, verliess seine Heimat und machte sich auf, in ein anderes
    2. Land zu ziehen. Dabei kam er vom Wege ab und gelangte auf seiner Irrfahrt in einen grossen Wald. Dieser war voll wilder Tiere, welche sich überall zeigten. Er peinigte die Augen durch die Mengen von Flammen, die in einem Waldbrande emporzüngelten.
    3. Furchtbar war er infolge der in ihm fliessenden Bergströme, und unwegsam infolge der Abgründe, die das Gebirge zerklüfteten: kurz, er glich dem Audienzsaale des Fürsten der Toten.[2]
    4. Ängstlich irrten die Augen des Wanderers umher, denn überall erblickten sie reissende Tiere. Hunger und Durst hatten ihn erschöpft, und er taumelte bei
    5. jedem Schritt. Da erblickte er einen bösen Waldelefanten, der ihm vorkam wie ein leiblicher Bruder der Wolkenmassen, welche zur Zeit des Weltuntergangs heraufziehen, und der wie diese ein gewaltiges
    6. Brüllen erdröhnen liess. Hinter ihm aber sah er eine Rākṣasī,[3] welche entsetzliche Krallen an ihren Händen hatte und im Vergleich mit den Furchtbaren furcht-
    7. bar war.[4] Beim Anblick dieser beiden erzitterte er am ganzen Körper. Da sah er einen hohen Feigen-
    8. baum, konnte ihn aber nicht besteigen, weil er gewahrte, wie der Elefant heranstürmte, um den Baum zu zersplittern. So rannte er denn davon und be-
    9. merkte eine alte, von Gräsern verdeckte Zisterne. Er verliess den hohen im Walde stehenden Feigenbaum, der ihm keinen Schutz bot, um sich in die tiefe Grube[5] zu flüchten; denn er wollte nicht sterben.
    10. Bei seinem Sturze in dieselbe klammerte er sich an das Röhricht an, welches sie wie eine Mauer umgab, und dann sah er hinab nach dem Grunde der vierseitigen
    11. Zisterne. Da erblickte der Geängstigte in allen Ecken vier Schlangen, welche, durch den Rückschlag seines
    12. Sturzes erzürnt, ihn beissen wollten, und als er in die Mitte der Zisterne sah, erblickte er dort als fünfte eine Riesenschlange. Haltlos in seiner Todes-
    13. angst sah er nun nach dem Rohrbüschel. Dort gewahrte er ein Paar Mäuse, eine weisse und eine schwarze, die die Wurzeln desselben benagten, und erkannte, dass sein Leben nur so lange währen würde, wie das Rohrbüschel.
    14. Der Elefant, wütend darüber, dass er ihn nicht erreichen konnte, rannte mit seinen Stosszähnen gegen den Feigenbaum, und von diesem rann reichlich Honig herab in die verfallene Zisterne.
    15. Als aber die Bienen merkten, dass ihr Besitz hinunterfloss, summten sie erregt — es war, als wären sie die Stimme des Schicksals gewesen —, flogen
    16. dem Honig nach und bemerkten den Mann, der am Rohrbüschel hing; und da sie dem Elefanten nichts anhaben konnten, so stachen sie den Mann mit ihren scharfen Rüsseln, die wie Pfeile wirkten.
    17. Inzwischen aber rann dem Manne allmählich vom Kopfe nach der Stirn zwischen den Augenbrauen durch über die Nase ein Honigtropfen in den Mund,
    18. und diesen Honigtropfen begehrte er zu kosten, und über die Süssigkeit desselben freute sich der Tor und dachte nicht mehr an den Elefanten, das gespenstische Weib, die Schlangen, die Boa, die Mäuse und die Bienen.
    19. Diese Geschichte habe ich erzählt, weil sie die Verblendung über die Existenz zu zerstören vermag. Vernehmet nun in Andacht, ihr Guten, ihre Anwendung:
    20. Der Mann ist das [in der Existenz befindliche] Wesen. Jener Wald aber ist der Gang, der nach vier Richtungen führen kann.[6] Der wütende Elefant ist der Tod. unter dem gespenstischen Weibe ist
    21. das Alter zu verstehen. Der Feigenbaum ist die Erlösung, die für Leute schwer zu erreichen ist, welche von den Sinnengenüssen verschlungen sind. Diejenigen, die dort hinaufgestiegen sind, brauchen sich vor Tod, Alter und anderen Übeln nicht mehr zu fürchten.
    22. Die verfallene Zisterne ist das Menschendasein, die Schlangen sind der Zorn und die anderen Leidenschaften.[7] Ein Mensch, den diese beissen, kann nicht mehr unterscheiden, was er tun und lassen muss.[8]
    23. Unter der schrecklichen Riesenschlange ist die Hölle mit ihrem vorgestreckten Rachen zu verstehen. Das Rohrbüschel ist die Lebenszeit des Menschen, die Mäuse sind die hellen und die dunklen Monatshälften.[9]
    24. Unter den Bienen sind die Krankheiten zu verstehen. Die Honigtropfen sind die Sinnengenüsse, durch deren Genuss der Mensch alles vergisst, was ihnen folgt.
    25. Da nun leider das Ende [wörtl. das Reifen] der Genüsse schrecklich, das Leben vergänglich, die Jugend eitel ist, so soll sich ein Verständiger der Ausübung des Gesetzes[10] widmen.

     

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    [1] Ein sehr fruchtbarer Schriftsteller. Vgl. Petersen, A fourth Report, of Operations in Search of Sanskrit MSS. Bombay und London 1894, S. CXXXVII ff. Nach der Jaina-tradition starb Haribhadra im Jahre 477 oder 478 n. Chr.; nach Jacobi lebte er spätestens im 9. Jhd. (brieflich). Seine Sprache macht nach Jacobi ein so frühes Datum wie das traditionelle unmöglich.

    [2] des Todesgottes Yāma.

    [4] d.h. fürchterlicher, als alle anderen fürchterlichen Wesen. — Die Rākṣasī, unter der nach Str. 339 das Alter zu verstehen ist, kommt hinter dem Elefanten (dem Tod), weil derjenige den Klauen des Alters verfällt, der dem Tode entgeht.

    [5] Im Texte Wortspiel: mahāvaṭa = „großer Feigenbaum" und.tiefe Grube".

    [6] Ein Wesen kann als Höllenwesen, als Tier, als Mensch and als Gott wiedergeboren werden.

    [8] Gut und Böse.

    [9] zu- und abnehmender Mond.

    [10] d.h. die Religion des Jina.