PARIŚIṢṬAPARVAN
STHAVIRAVALĪ Auszüge aus Hēmachandrācāryas PARIŚIṢṬAPARVAN [165 von 284]
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Kalpaka[1] [1 von 14]
Vermählung [1 von 1]
Als Kalpakas Vater mit der Zeit gestorben war, kannte jener alle Zweige des Wissens wie kein Zweiter in der Stadt und wurde sehr berühmt. Weil er aber schon vor seiner Geburt ein Jaina-Laie geworden war, war er stets zufrieden und hegte niemals den Wunsch nach großem Besitz.[2] Man bot ihm liebreizende und schöne Mädchen aus guten Familien an; er aber heiratete sie nicht. Von seinen Schülern umgeben zog Kalpaka beständig in der Stadt umher, und die Bürger bezeigten ihm ihre Ehrfurcht: denn der Wissensreiche wird überall geehrt.
Auf dem Wege, den Kapilas Sohn von und nach seiner Wohnung zu gehen pflegte, wohnte ein Brahmane, der eine Tochter hatte. Obgleich diese sehr schön war, nahm sie doch niemand zur Frau; denn die Schönheit ihrer Gestalt wurde durch einen Wasserbauch entstellt. Ihr Leib war wie ein wassergefüllter Schlauch; und obwohl eine Jungfrau, war sie doch, einer Schwangeren gleich, unfähig auch nur zu gehen. Als sie heiratsfähig war,[3] teilte ihre Mutter dies dem Vater mit, und der Brahmane sagte zu ihr: „Meine Liebe, es ist ein Vorwurf für uns beide, daß wir das Mädchen nicht vermählt haben, und daß sie als Jungfrau mannbar geworden.[4] Weil sie keinen Gatten hat und ihre Reife nutzlos ist, so sind wir beide in die Sünde des Embryonenmordes verfallen. Was sollen wir tun? Niemand freit um die Wassersüchtige. Darum müssen wir jemand durch trügliche Worte fangen und sie ihm geben. Kein Mann aber läßt sich durch trügerische Worte fangen, außer Kalpaka. Denn er ist der Einzige, der sein Wort nicht bricht.[5] So wollen wir uns denn um ihn bemühen."
Darauf grub der Brahmane einen kleinen Brunnen vor seinem Hause und stieß seine Tochter hinein zur Zeit, da Kalpaka zu kommen pflegte. Und als er ihn herankommen sah, rief er laut: „Wer meine Tochter herauszieht, dem will ich sie geben." Kalpaka, dem das Mitleid das Herz zerriß, zog sie sogleich heraus. Er hatte nämlich den zweiten Teil der Rede des Brahmanen gar nicht gehört. Da sagte ihr Vater zu ihm: „Heirate diese meine Tochter, Kalpaka. Denn ich habe sie mit lauter Stimme dem verlobt, der sie aus dem Brunnen ziehen würde. Du hast gehört, daß es sich um ihre Vermählung handelte, und hast sie trotzdem gerettet; und es ist ein logischer Schluß, daß man zustimmt, wenn man nicht widerspricht. Und du verstehst dich doch vortrefflich auf logische Schlüsse, so gut, als wärest du der Schöpfer aller wissenschaftlichen Disziplinen. Und dein Wort pflegst du zu halten, Bruder. Darum tue, was sieh gebührt."
Da dachte Kalpaka: „Er hat mich durch die Macht seiner Klugheit düpiert; was kann ich dagegen tun?" Und obwohl er kein Verlangen nach der Schönen hegte, willigte er in die Heirat ein. Da er ein Agastya im Meer der Künste war,[6] machte er sie durch die Heilkräuter, die die Medizin vorschreibt, gesund und vermählte sich mit ihr.
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[1] Kalpaka (Kappa, Kappaka oder Kappaga) war der Sohn eines Brahmanen Kapila (Kavila), der vor der Geburt des Knaben zum Jinismus übergetreten war. von Pāṭaliputra (Pāḍaliputta). Er war sehr intelligent. Er hatte die Tochter von einem Maruya geheiratet. Er war Minister von Nanda (Ṇaṁda), dem König der gleichen Stadt. Er hatte sich dem König sehr hilfreich erwiesen. Obwohl ihn der König viel belästigte und quälte, blieb er dem König immer loyal (Für weiter Einzelheiten s. Āvaśyaka-Cūrṇi II, Nandisūtra-vṛtti von Malayagiri, Āvaśyaka-vṛtti von Haribhadra)
Sanskrit:
kalpaka = einer festgelegten Regel oder Norm entsprechen; übernehmend, annehmend; eine Art Kurkuma (Gelbwurz); ein Barbier.
Literarischer Hinweis, Anhang I [33] https://www.om-arham.org/blog/view/9391/parisi%E1%B9%A3%E1%B9%ADaparvan.
[2] Einl. S. 19,19 ff.
[3] Der Sskt.-Text drückt dies in einem für unser Empfinden häßlichen Bilde aus.
[4] Der Vater soll seine Tochter vor diesem Zeitpunkt vermählen, obwohl sie erst nach ihm mit dem Gatten in eheliche Gemeinschaft tritt. Sie lebt bis dahin im Hause des Vaters.
[5] Wahrhaftigkeit ist Pflicht des Brahmanen. Kalpaka erscheint hier als der Einzige, der dieser Pflicht noch nachkommt.
[6] Agastya ist ein berühmter mythischer Weiser, der im Meer geboren wurde. Er hatte übernatürliche Kräfte und brachte die Wissenschaften nach dem Dekkan.